Worldbuilding: Santísmer – Stadt der Alten Westkönige und Sitz der Herrscher von Errion
Sie erreichten Santísmer am späten Vormittag des dritten Tages, nach einer weiteren durchrittenen Nacht. Auf einer Anhöhe vor der Stadt ließ Kellen den Rosenschimmel an halten. Erschöpft schaute er auf den hellen Fels, der sich ma jestätisch über der mehlig grauen Bucht vor ihnen erhob und auf dem die Türme und Mauern der mächtigen Herzogsburg in der Hitze flimmerten. Auf den sanft abfallenden Hügelrücken und das Land zwischen den ausgetrockneten Mündungsarmen der zwei Tideflüsse drängte sich ein geflecktes Häusermeer. Weiter draußen glitzerte der Ozean hell und warm unter einem wolkenlosen Himmel im Niedrigwasser.
Kellens nackte Füße bluteten in den Steigbügeln. Seine linke Hand war ganz wund von den Zügeln, bei der Rechten der Verband fast bis auf die Haut durchgewetzt, doch der Anblick der Herzogsburg erfüllte ihn mit neuer Hoffnung. »Schau nur Fionn!« Er rüttelte Fionn, der hinter ihm grade so halbwegs noch im Sattel hing. »Wir habens fast geschafft!«
Santísmer, die Stadt der Alten und Neuen Westkönige und seit dem 13. Jhd. n. L. Sitz der Herzöge von Errion, liegt auf dem Land zwischen den Mündungen der Tideflüsse Anneon und Bélenneon an der Küste der Errischen See und wird von der Herzogsburg (die gemeinhin ebenfalls schlicht mit dem Begriff Santísmer bezeichnet wird) auf ihrem Felsenhügel überschaut.
Der Name dürfte wohl aus dem Alterrischen entlehnt sein und auf die Begriffe santís (Sand bzw. im Falle von Santísmer Sandstein) sowie mer (Meer, See) zurückgehen. Ihren Namen hätte die Stadt demzufolge also von dem Felsenhügel aus Sandstein oder der aus ebendem Material errichteten Burg, welche diesen bekrönt.
Die Chroniken Errions, welche später von den Magistern des Ostens zusammengetragen wurden, berichten, dass die Erriennen, jenes Volk, welches zum Ende des Grauen Alters aus dem Norden kam und in den Westlichen Küstenlanden des Großkontinents einfiel, zum ersten Mal an ebenjener Stelle landeten, an der dereinst die Stadt und die Burg stehen würden. Hier errichteten sie eine erste befestigte Siedlung, von hier aus drangen sie weiter ins Landesinnere vor und drängten die Celdennen, die bis dahin in diesen Ländern gelebt hatten, im gleichen Maße zurück, bis sie sie letztlich unter der Führung Bramyns des Eroberers in Cairn vernichtend schlugen. Es heißt, dass Bramyn anschließend mit seinem Heer in die Siedlung zwischen den Mündungen der Tideflüsse zurückkehrte und am Morgen der Sommersonnenwende auf dem Felsenhügel zum ersten König Errions gekrönt wurde; seine zinnfarbene Krone wurde aus Metallen geschmiedet, die den Waffen der geschlagenen Celdennen geraubt wurden. Dies wird auf die Jahre 100-108 n. L. geschätzt. Anschließend, so sagen die Sänger, ließ Bramyn den Bau einer Burg auf dem Felsenhügel beginnen, deren Fertigstellung er jedoch nicht mehr erleben sollte.
In den folgenden Jahren, die zu Jahrhunderten wurden, festigte sich nicht nur die Linie der Könige von Bramyns Geblüt, auch die Burg und die Siedlung zu ihren Füßen wuchsen und wurden immer mehr erweitert. Um 500 n. L. war der Hafen Santísmers einer der größten und wichtigsten Häfen im Westen des Großkontinents und ein zentraler Knotenpunkt für den Handel zwischen den Ländern des Nordens und des Südens. So bestanden Schifffahrtsverbindungen sowohl zum Silberkönigreich von Numis im Arnischen Meer wie auch zu den Häfen von Nír Ammharís, Borrynshafen und Norínsfell.
Schiffe brachten Waren sämtlicher Art und Herkunft mit, die umgeschlagen und auf den Märkten der Stadt gehandelt wurden; kostbare Gewürze und Stoffe, Felle, Kaffee und Elfenbein aus den Wüsteneien im Osten, Weihrauch und Sklaven von den Kobaltinseln, Erze aus dem Norden und Gold und Silber aus dem arnischen Süden. Der rege Handel in der Sandsteinbucht breitete sich auf die ganze errische Küste aus. Vielerorts gab es Weber und Flachser, die Leinen für die Segeltücher herstellten, oder Taue drehten und sie an die Werften der Stadt verkauften. Von dem Wohlstand, den dieser Handel brachte, erbauten die Alten Westkönige Straßen, Wach- und Leuchttürme und Festungen, bis an den Hoelor und die Menez Nivluínn im Osten, Mauron im Norden und den Fluss Bruannon im Süden. Die Stadt Santísmer selbst wurde ab dem Jahr 634 n. L. von einer großen Mauer aus Sandstein umgeben; ihr seewärts vorgelagert gab es eine Tideinsel mit drei Wachtürmen, von wo aus man den Schiffsverkehr in der Bucht überwachen konnte.
Dies war das Helle Alter Errions, eine Zeit des Wohlstands und des Friedens, für die Westlichen Küstenlande und Santísmer, doch auch darüber hinaus. Doch es sollte nicht ewig weilen. Im Jahr 850 n. L. verging die Linie der Alten Westkönige mit dem Tod Alains des Jüngeren und Errion – und damit auch Santísmer – verfielen in Unruhen.
Es kam zu Überfällen aus dem Norden und zu ersten Angriffen von Piraten aus dem Kupfermeer, die sich nach der Vertreibung aus dem Arnischen Meer durch die zeitgleich aufstrebenden Fürsten von Arnis in das Kupfermeer verzogen und von dort aus nun vermehrt die Errische See unsicher machten. Der Handel kam dabei fast gänzlich zum Erliegen; ebenso endete Santísmers Funktion als großer Handelshafen für das Schwarze Salz des Nídis, welches fortan auf direkterem Weg über die Flüsse nach Líohim und die Länder des Ostens gebracht werden sollte.
Im Jahr 889 n. L. kam es zur Plünderung Santísmers unter Beorl dem Grausamen, einem jener, die sich Piratenkönige nannten. Ihn konnte man jedoch noch einmal zurückschlagen.
Im Jahr 912 n. L. schließlich zog der gefürchtete Piratenkönig Harrín im Bettlermeer von Arnis dreiunddreißig Schiffe zusammen und segelte mit ihnen nach Santísmer, wo er während der Feierlichkeiten zum Velainstag einfiel, die Bucht besetzte und die Stadt belagerte. Jedoch hatte er nicht mit der Zähe der Errischen gerechnet; die hielten der Belagerung nämlich über viereinhalb Monate stand und schafften es, sich währenddessen unter der Führung von Maleon, dem Sohn eines angesehenen Schiffbauers, noch einmal so weit zu organisieren, dass sie Harrín im Kampf die Stirn bieten konnten: Im September des gleichen Jahres kam es in der Bucht von Santísmer zur Schlacht der Gezeiten; als das Niedrigwasser einsetzte, griffen die Bewohner der Stadt an und als die Flut kam, hatten sie Harrín in die Flucht geschlagen. Maleon wurde anschließend zum neuen Meister der Stadt ernannt, konnte sich dieses Titels jedoch nicht lange erfreuen, denn bald darauf breitete sich eine Krankheit in der Stadt aus, die viele Menschen das Leben kosten sollte, darunter auch Maleon und seine Söhne.
Jene Krankheit, die das Arnische Fieber geheißen wurde, und welche im Nachhinein auch schlicht als die Große Plage bezeichnet wird, brach noch bei der Siegesfeier aus und raffte über die nächsten Jahre einen Großteil der Bevölkerung dahin; man vermutet, dass sie mit den Schiffen von Harrín nach Santísmer gelangte.
In den Folgejahren erhoben viele verschiedene Parteien Anspruch auf den Sandsteinthron; hohe Familien Errions, reiche Handelsleute, bedeutende Schiffer, aber auch der Bruder Maleons und einige, die behaupten, vom Blute der Alten Westkönige abzustammen. Santísmer wurde von ihnen hin- und hergerissen, die Errischen heißen sie abfällig Händlerprinzen und Flickenkönige; ihre Namen sind in den Chroniken oftmals mit Schmähworten geziert.
Einer der solchen, wenigstens wurde er im Nachhinein so geheißen, war Lauric, der Prinz von Hoelshafen, welcher im Jahr 967 n. L. die vermeintliche Schwäche Santísmers ausnutzen wollte, um die Schmach, welche seiner Heimat in den Tagen Canors des Kriegers, des vierzehnten der Alten Westkönige, angetan wurde, zu tilgen. Mit einem Heer zog er den Bruannon entlang landeinwärts und hielt sich dann an den Hügelausläufern der Menez Mintín, bis er an den Bélenneon kam, dem er nach Santísmer folgte. Vor den Mauern der Stadt schlug er ein Lager auf und tat seine Absichten kund; er würde nicht abziehen, ehe man ihm die Stadt zur Herrschaft aushändigte und Tochter desjenigen zur Hochzeit, welcher derzeit über sie gebot; eine direkte Anspielung also auf die Taten Canors. Doch als man ihm nach drei gewährten Tagen der Bedenkzeit endlich die Tore der Stadt und der Burg öffnete und Lauric einritt und seinen Tribut forderte, musste er sehen, dass die Krone Bramyns und der Alten Westkönige in den Wirren verlorengegangen war. Einzig einen Reif aus Ginster hatte man ihm mehr anzubieten, als er die Halle betrat und den Thron in Besitz nahm. Die Frau indes, die man ihm zuführte, war ebenso nicht von herrschaftlichem Geblüt (ihre Abstammung ist nicht bekannt, ebenso ihr Name); Vermutungen liegen jedoch nahe, und wurden auch schon geäußert, es habe sich bei ihr um ein Freudenmädchen gehandelt. Lauric, gleichermaßen zutiefst entrüstet und enttäuscht, verbittert und erbost, setzte den Ginsterkranz der Frau auf den Kopf und überließ sie seinen Männern, welche in der Stadt derweil noch das wenige plünderten, das noch zu plündern war; zumeist Votivfiguren der Alten Götter des Westens, die aus Metall gearbeitet waren.
Den Sandsteinthron nahm Lauric zwar dennoch in Besitz, doch auch seine Herrschaft währte nur kurz; ein weiteres großes Aufflammen des Arnischen Fiebers, überwiegend in den Reihen seiner Truppen, schmälerte seine Durchgriffsstärke beträchtlich. In der Nachbetrachtung lässt sich erkennen, dass die Frau mit dem Ginsterkranz womöglich die Ursache dessen sein könnte. Nachdem die Krankheit einen Großteil seiner Männer dahingerafft hat, ergriffen die übriggebliebenen die Flucht, denn sie glaubten sich vom Zorn der Alten Götter befallen, ob ihrer Freveltaten. Allein und verlassen und mittlerweile ebenfalls vom Fieber geschwächt, konnte er keine Gegenwehr mehr bieten, als ihn Abgesandten der Stadt unter Führung des Hauptmanns der Hafenwache, Marrec mit Namen, im Herbst des gleichen Jahres nach nur vier Monaten Herrschaft erstach. Seinen Leichnam sandte man nach Hoelshafen zurück, die Stirn nun nurmehr bekränzt mit einem Kranz aus Unkraut, nicht mit dem Ginsterkranz, wie es bei toten Königen Sitte gewesen war.
Die Stadt wurde im Folgenden auch weiterhin vom Unglück heimgesucht. So weitete sich der Ausbruch des Arnischen Fiebers einmal mehr auf die Bevölkerung aus; eine Plage, welche vom Frühjahr 968 bis zum Winter 970 andauerte; im selbigen Winter folgte sogleich eine Hungersnot, im Frühsommer des Folgejahres ein Aufstand. Dieser wurde jedoch von der Stadtwache unter der Führung ihres Hauptmanns brutal niedergeschlagen. Dieser hatte inzwischen die Hafenwache und die Stadtwache zu einer Institution unter seiner Person vereint und sich somit an die Macht über Santísmer gebracht. Diese Herrschaft der Stadtwache konnte sich einige Jahre halten.
Im Jahr 978 n. L., während der Herrschaft von Calain dem Ungetreuen, welcher die Hoheit über die Stadt auf zweifelhafte (jedoch nicht mit Sicherheit überlieferte) Art übernommen hatte, ereignete sich ein verheerender Brand, welcher der ohnehin bereits heruntergekommenen Stadt noch einmal arg zusetzte. Man schätzt, dass er des Nachts in den Werksvierteln der Werften ausgebrochen ist und sein Ursprung in einem abends unachtsam für die Nacht bereiteten Schmiedefeuer zu suchen sei. Alsbald verschlang es die Holzlager und die aus Holz errichteten Gebäude, ehe es, angefacht von den kräftigen, von der See her wehenden Herbstwinden stadteinwärts auf die Häuser der Stadt umschlug und sich dort innerhalb der Mauern binnen weniger Stunden ausbreitete, bis es letztlich gar die Burg auf ihrem hohen Hügel erfasste. Den Menschen blieb nichts als die Flucht vor die Mauern und die Anhöhen um die Stadt. Von dort aus sahen sie mit an, wie die Flammen wütend gegen den schwarzen Himmel anbrandeten. Erst mit der zweiten Dämmerung und der vierten Flut und einem einsetzenden Regenschleier, der sich über die verkohlten Reste legte, nahm das Feuer endlich ein Ende. Die Menschen kehrten in die Stadt zurück und machten sich daran, sie wiederaufzubauen; denn auch wenn vieles bis auf die Grundfesten niedergebrannt war, so standen einige Häuser noch, denn sie waren von alther, aus den Tagen der Alten Westkönige, und aus Stein. Von der Burg auf ihrem Hügel jedoch war nur die Gruft mit den Gräbern der alten Könige vom Feuer unversehrt geblieben, denn sie lag unter der Erde. Das Dach der Großen Halle war eingestürzt, doch stand sie noch, ebenso wie einige Mauern und der Sandsteinthron, doch wurde die in diesen Tagen nicht wiedererrichtet.
Aufgrund ihrer misslichen Lage und da der Handel nach wie vor nicht wieder aufleben konnte, teils wegen der noch immer von den Piraten heimgesuchten See, begannen einige der verzweifelten Schiffer, selbst auf Raubzüge zu gehen, angespornt von den vereinzelt noch immer in der Bucht liegenden, nur langsam verrottenden Wracks von Harríns Flotte. Dies brachte nur wenigen, zweifelhaften Wohlstand in die Stadt, verschaffte ihr vielmehr einen zwielichtigen Ruf. Dieser hatte zur Folge, dass der Handel nur noch mehr erschwächte.
Erst Urso, einem Prinzen aus Lethís (heute Valentynianae, in Arnis), vom Geschlechte der Könige von Brevís, die dereinst nach dem Untergang von Numis zu Königen über ganz Arnis werden sollten, welcher es mittels eines Bündnisses mit den aufstrebenden freien Handelsstädten schaffte, sich ein Heer und eine Flotte zusammenzustellen, gelang es, dieses Treiben gewaltsam zu unterbinden. Da Santísmer zu jener Zeit zugleich einen Einfall durch Truppen König Warin von Hoeghain zu befürchten hatte und sich somit zwischen Land und See eingedrängt fand, schlug man sich notgedrungen auf die Seite des arnischen Prinzen, da man sich durch ihn noch eher eine Besserung der Lage erhoffte. Der Angriff Hoeghains konnte in der vorzeitigen Schlacht von Keredain abgewehrt werden. Anschließend wurde Urso die Herrschaft über Santísmer und Errion angeboten, doch der nahm sich ihrer nur kurz an, um die Handelswege zu sichern, wie er es seinen Bündnispartnern versprochen hatte. Zu diesem Zwecke installierte er neue Kodizes und Verwaltungsapparate, besetzt mit vertrauenswürdigen Männern Santísmers, erneuerte die Gesetze für Güter und Transport, setzte den Hafenzoll neu ein, ließ den Hafen instand setzen und eine neue Mauer zu seinem Schutz errichten.
Vor seiner Rückkehr nahm Urso noch eine Frau namens Corynne zur Gemahlin. Sie entstammte einem alten Adelsgeschlecht, ihre Bekanntschaft hatte er während des Feldzugs in Keredain gemacht und von ihr hieß es, in ihr überdauerte eine Strähne des alten Celdennenblutes. Nach der Vermählung kehrte Urso wieder nach Lethís zurück. Noch auf der Fahrt gebar ihm Corynne zwei Kinder; eine Tochter und einen Sohn, die Tochter zu Wasser, den Sohn in Ederas, wo man Zwischenhalt machte. Ursos Taten, die Vermählung und die Kinder, die daraus entstammten, bilden den Grundstock für die bis heute andauernde Freundschaft zwischen den Menschen von Arnis und Errion. Mehrmals, insbesondere in den Tagen der ersten Herzöge, kam es zu weiteren Hochzeiten.
Santísmer kam nach dem Aufenthalt Ursos und durch seinen teilweisen Wiederaufbau und der Restauration des Handels wieder einigermaßen zu Kräften, doch sollte es nie wieder solchen Wohlstand erlangen wie in den Tagen der Alten Westkönige. Der Handel, insbesondere mit dem sich nun im Osten immer weiter ausdehnenden Reich von Líohim, lief nun schon seit langem über die Straßen und Netze ebenjenes Reiches.
Das Blatt sollte sich erst wenden, als Líohim im Jahr 1050 n. L. den Blick auf die Westlichen Küstenlande richtete, mit dem Ziel, sie in das Heilige Einige Reich einzugliedern. Zum damaligen Zeitpunkt hatte es bereits sämtliche andere Ländereien im Süden des Großkontinents in diesen Bund geholt. Selbst Arnis war ihm beigetreten und konnte Errion somit keinen Beistand mehr leisten als es zu ersten Angriffen kam.
Die Menschen Errions leisteten dennoch erbitterten Widerstand und als die Heere Líohims unter Führung von Großkaiser Zenon den Hoelor überschritten und nach Santísmer marschierten, flohen viele in die Stadt. Dort rauften sie sich zusammen und wählten einen neuen König, mit dem die Würde der Alten Westkönige erneuert werden und der sie im Kampf gegen den Osten vereinen sollte: Hoel den Mutigen.
Tatsächlich gelang es Hoel, eine Streitmacht aufzustellen, die sich der von Líohim in den Weg stellte und sie eine Weile aufzuhalten vermochte. Jedoch war Hoel keine lange Herrschaft beschieden; er fiel in der Schlacht der schwarzen Bäume im Mai 1085. Der Widerstand Errions hielt nach ihm noch weitere vier Könige und 15 Jahre an, doch schlussendlich wurde die Zähe und die Unbeugsamkeit Errions von der schieren Übermacht Líohims gebrochen. Im Winter des Jahres 1100 n. L., welcher ein besonders harscher war, konnte es sich nicht mehr länger halten und so wurden die Westlichen Küstenlande nach einer finalen Unterredung zwischen Großkaiser Zenon, der eigens anreiste, und Nominoe dem Namenlosen, der damals König war, endlich in das H. E. R. eingegliedert. Nominoe wurde diese Schwäche nie verziehen; er wurde von den Menschen Santísmers verjagt und es heißt, dass er im Jahr 1109 auf der Halbinsel von Mauron alleine, verarmt und von Sinnen im Exil zu Tode kam.
In diesen Tagen kam auch zum ersten Mal ein Magister dauerhaft an den Herrschaftshof. Ihnen und ihrer Bearbeitung der Chroniken ist es zu verdanken, dass das Wissen über die vorangegangenen Jahrhunderte und Alter zusammengetragen und geordnet wurde.
Die Jahre des Widerstands hatten Santísmer aufgerieben und ausgezehrt, und in den Folgejahren hielt die Linie der Neuen Westkönige daher nicht mehr lange Bestand. Zwar durften sie durch ein Dekret Líohims noch regieren – sie waren durch Großkaiser Mereon sogar offiziell erneuert worden – wobei das wohl eigentlich eher mit einer Duldung gleichzusetzen war – doch mussten sie fortan im Zuge der Missionierung zum Glauben an die Fünfheit in deren Namen und durch die Hand des Bastyans in dem neu errichteten Kloster nördlich der Stadt getauft und gekrönt werden. Dies führte, neben einer Vielzahl anderer Dinge, über die an anderer Stelle berichtet wird, dazu, dass ihre Macht gefährlich mürbe wurde, und sie auf Anraten errischer Adelsfamilien – allen voran derer von Loroe, den Baylen der Könige seit Teudric – und auf Geheiß von Líohim nach Melael dem Geringeren abgesetzt wurden, ehe es zu Aufständen kam.
An ihrer Stelle wurden nach dem Großen Rat des Westens, der im Jahr 1248 n. L. einberufen wurde und welchem die hohen Familien Errions, ein Vertreter des Kaisers von Líohim, sowie verschiedene angesehene Persönlichkeiten und Vertreter der Fünfheit von Líohim angehörten, die Herzöge von Errion eingesetzt, welche die Westlichen Küstenlande fortan als Kurfürsten des H. E. R. regieren sollten – und dies bis heute tun. Zuerst war dies ausgerechnet die Familie Loroe; die Diener waren also hinterrücks zu Fürsten geworden. Ihre Familie regierte Santísmer bis in das fünfzehnte Jahrhundert n. L. und sorgte – mit finanzieller Unterstützung von Líohim – dafür, dass die Errische See endgültig wieder gesichert und die Handelsbeziehungen verstärkt wieder aufgenommen wurden. In dieser Zeit wurde die Krone der Neuen Westkönige eingeschmolzen und endlich auch die Burg auf ihrem hohen Hügel wiederaufgebaut und erweitert. Als die Linie Loroe im Jahr 1499 n. L. ohne Nachkommen mit Giles dem Greis endete, ging die Herzogskrone an die Familie der nunmehrigen Bailliage über; das Haus Erispoe, welche sie bis ins Jahr 1877 n. L. trägt.
So fanden Santísmer und die Westlichen Küstenlande wieder zu alter Stärke und altem Stolz zurück. Dies war vor allem für Líohim von großem Interesse; als wichtigstes Grenzland zum Norden sollte Errion stark und sicher sein, denn man fürchtete einen Konflikt mit dem Königreich des Nordens. Und dieser ließ auch nicht lange auf sich warten.
Von 1695-1772 sollte der Große Reichskrieg zwischen den Ländern des Nordens und denen des H. E. R. wüten, und Santísmer ihn mit voller Härte zu spüren bekommen. Der Norden entsandte von seinen Stützpunkten in Nairn und Nír Vareluínn eine Flotte mit so verheerender Kampfkraft, wie sie die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Diese Schiffe waren nicht mehr aus Holz gefertigt, sondern aus schwarzem Eisen, und sie waren bestückt mit neuen Waffen, die stärker waren als alles, was die Schmieden Errions und selbst die von Constynus aufzubieten vermochten, wodurch es ihnen ein Leichtes war, die Flotten Errions aufzureiben. Santísmer fiel unter zweijährige Belagerung und konnte nur im letzten Moment durch Herzog Corentyn den Harten befreit werden; auch über diese Tat wird an anderer Stelle ausführlicher berichtet.
Die Schäden des Kriegs waren erheblich, doch einmal mehr wurde die Stadt wiederaufgebaut. Aus diesen Tagen stammt die Statue des namenlosen Alten Westkönigs vor den Toren der Herzogsburg.
In den Jahren nach dem Krieg, unter dem Schutz des Friedensvertrags von Brahí, erstarkten die Westlichen Küstenlande wieder. Auf der Halbinsel von Mauron wurde ein Wachturm errichtet, welcher allerdings nur ein Jahrhundert lang wirklich aufmerksam bemannt wurde. Danach wurden dorthin nur noch jene zur Strafe entsandt, die ihren Dienst in der Stadtwache von Santísmer nicht ordentlich verrichteten.
Im Jahr 1832 n. L. wurde Santísmer von einer Sturmflut getroffen, welche große Teile des Hafens und der darin ankernden Schiffe zerstörte. Eines davon, eine Galeasse aus Pont, beladen mit Leinen und kostbaren Stoffen, sank und musste geborgen werden, da sie den Eingang in den Hafen unpassierbar machte. Während der Sturmflut wurden auch die drei Wachtürme auf der Gezeiteninsel geschliffen. Die waren allerdings ohnehin schon arg verfallen, man sah deshalb von einer Instandsetzung ab; zumal man dieser Tage keinen Grund dafür sah, solche Vorkehrungen zu treffen.
Eine lange Zeit des Friedens war da, einmal mehr kehrte Ruhe ein in der stolzen Stadt der Alten Westkönige. Und so sollte es bleiben …
… bis zu jenem Tag im Juli 1877 n. L., da zwei Jungen aus einem kleinen Fischerdorf in höchster Eile und höchster Not an die Tore der Stadt und der Herzogsburg kamen, außer sich vor durchgestandenen Schrecknissen, einer mit einem Schwert beladen, schwarz wie sternlose Nacht, und von neuem Unheil kündeten.
Was dann geschieht, wie es soweit kam und was es mit Amkash, dem Namenlosen Schrecken, Sekhems Fluch und seinen Trägern auf sich hat, erfahrt ihr in Das Schicksal der Fluchträger – Teil 1 & 2